Peter Müller erzählt wie er und die Band die Liebe zum British-Blues entdeckten.
Der Ealing Jazz Club war ein Musiklokal am Broadway in Ealing im Westen von London. Es wurde
im Januar 1959 eröffnet und war Londons erster regulärer R & B-Veranstaltungsort mit einem
Auftritt der einflussreichen Band Blues Incorporated von Alexis Korner und Cyril Davies.
Natürlich beginnt unsere Geschichte nicht im Jahre 1959, als wir noch froh gestimmt mit der
Plastiktrompete um den Weihnachtsbaum herumliefen, sondern erst knappe 10 Jahre später,
in denen der Britische Blues genug Zeit hatte, sich zu entfalten und die denkwürdigsten Blüten zu
treiben. Diese Phase, die gemeinhin als der „British Blues Boom“ bezeichnet wird, begann grob
gerechnet um das Jahr 1966. Das war in den Tagen, als meine Kumpels und ich noch in
Räumlichkeiten einer örtlichen Kirche vor uns hin dilettierten, um den einen oder anderen, leicht
nachvollziehbaren Beatsong mit dem Segen des Gemeindepfarrers auf die Reihe zu bekommen.
Ein gerüttelt Maß an Talent, ein unbeugsamer Enthusiasmus und die unbedingte Unterordnung aller
Dinge des Lebens, die nicht mit Musik im Zusammenhang standen, ließen uns mit unserer ersten
Band zu einer festen Größe in der lokalen Szene werden.
Wir gingen dann zum ersten Mal einer im allgemeinen Bandbusiness alltäglichen Beschäftigung
nach und lösten uns auf. Als Band, nicht als Individuen. Denn die wurden in Bälde wieder
gebraucht, und das bringt mich zum Jahre 1968.
Bandmäßig hatte ich mich zwischenzeitlich auch von meiner zweiten Truppe getrennt und harrte
der Dinge, die da möglicherweise kommen würden. Sie kamen.
Grundsätzlich ist der weitere musikalische Werdegang meiner Freunde und mein persönlicher einer
liebgewordenen Praxis zu verdanken, die eng verbunden ist mit einer sonntäglichen Trambahnfahrt
von der Haltestelle Heideckstraße zum Hauptbahnhof. Gegen Mittag brachte mich zu jener Zeit
noch die Linie1 zum gewünschten Fahrziel, bequem, ohne lästiges Umsteigen. Der Hauptbahnhof
München beherbergte neben allerlei Geschäften, Gaststätten und Kiosken verschiedenster Art auch
das Ziel meiner wöchentlichen Fahrt: einen Laden, über dessen Eingang in Leuchtschrift
„Internationale Presse“ zu lesen war. Dieser Hort meiner Begierde vertrieb als wohl einziges
Geschäft Musikzeitschriften aus dem Vereinigten Königreich.
Auf mein besonderes Interesse stießen die im Zeitungsformat gehaltenen Ausgaben des „Melody
Maker“ und des „New Musical Express“. Die augenscheinlich aus Altpapier hergestellten
Druckschriften waren zu jener Zeit noch zu erschwinglichen Preisen erwerbbar. Als Schüler an
einer Realschule war jede Mark noch eine Mark wert. Große Sprünge waren da nicht zu machen.
Ich musste also die Wahl treffen zwischen den beiden dargebotenen Zeitungen. Dieses eine Mal, an
jenem historischen Sonntag, musste ich nicht lange überlegen. Vom „Melody Maker“ sah mich ein
unglaublich cooler Typ an, mit Fransenweste und dichtem Prinz Eisenherz-Haarschopf. Die
Schlagzeile war irgendetwas über einen Kreuzzug für den Blues. Das Wort „Blues“ sagte mir noch
herzlich wenig, aber da ich im jugendlichen Alter einige meiner Entscheidungen visuell begründet
habe, entschied ich mich für diesen gewissen Herrn John Mayall. Schon auf der Heimfahrt begann
ich den Artikel aufmerksam zu lesen, was bei der doch noch etwas gröberen Kenntnis der
englischen Sprache öfters dazu führte, dass ich unbekannte Wörter durch mir sinnvoll erscheinende
ersetzte.
Der ganze Artikel fußte auf der Tatsache, dass besagter John Mayall gerade eine neue Platte
veröffentlicht hatte. Der Titel dieser Platte war „Crusade“. Mayall befand sich gemäß seiner
Aussagen auf einem Kreuzzug, der den Britischen Blues in der populären Musik noch tiefer
verankern sollte. Er lobte in diesem Zusammenhang seine Band in höchsten Tönen und hob dabei
seinen neuen Gitarristen Mick Taylor besonders hervor. Alles in allem konnte ich mich nach
Studium des Artikels dem Bedürfnis nicht entziehen, in den Besitz dieser Platte zu gelangen.
Langspielplatten waren das absolut neue Ding. Die Single hatte ihren Dienst als Hitvehikel getan.
Die Musikliebhaber standen nun auf die 33er Langspielplatte, auf der sich die Künstler 45 Minuten
lang präsentieren konnten, anstatt potentielles Hitparadenfutter mit maximal 3 Spielminuten
abzuliefern. Allerdings hatte das neue Medium einen kleinen, aber entscheidenden Makel:
Es war TIERISCH teuer. Gemäß der zu diesem Zeitpunkt noch gültigen Preisbindung für Tonträger
waren zum Ankauf einer solchen LP 22 Deutschmarks vonnöten - für das durchschnittliche
Schülerbudget ein horrender Betrag. Was also tun?
Für alle Notfälle hatte ich ja noch diverse Alben mit Single-Schallplatten in meinem Jugendzimmer gehortet.
Bei akuter Geldnot oder bei nicht aufschiebbaren Kaufgelüsten kramte ich die Telefonnummer
meines alten Schulkameraden Peter hervor, rief ihn an mit der Frage, ob er an weiteren Platten-ankäufen interessiert sei und es dauerte meistens nur um eine Stunde herum und Peter
stand vor meiner Wohnungstür.
An den genauen Kaufkurs erinnere ich mich nicht mehr, aber ich denke, dass für 22 DM ungefähr
6-7 Singles den Besitzer wechselten.
Die finanziellen Rahmenbedingungen waren demnach geschaffen. Blieb die Frage, wo man in einer Zeit, weit, weit vor dem Internetzeitalter den gewünschten Tonträger erwerben konnte. „LINDBERG“? „RADIO RIM“? Hoffnungslos. Dort hatte man zwar gute Chancen, dass sie den
Gesamtoutput von Freddy Quinn auf Lager hatten, aber Nischenbereiche wurden da nicht bedient.
Schallplatten-Spezialgeschäfte würden zwar in nicht allzu ferner Zukunft wie Pilze aus dem Boden
schießen, aber 1968 war München noch Ödland in dieser Hinsicht. Es bedurfte eines Tipps einer
meiner Mitschüler, der mir verschwörerisch eine Adresse nannte, wo ich möglicherweise Erfolg
haben könnte. Dieser geheimnisvolle Ort war ein Geschäft namens „Foto-Schwabing“ in der
Hohenzollernstr. 12. Die Verkäuferin in der Plattenabteilung wäre eine gewisse Irmgard Weigelt,
deren Sortiment sich wohltuend vom sonstigen Mainstream abhebe, so sagte er.
Mit dieser Information machte ich mich alsbald per Tram auf zur genannten Adresse. Ich betrat den
Laden und musste nicht einmal zur Theke vorgehen, da das Objekt meiner Begierde groß und
unübersehbar in einem Rack platziert war, so dass ich nur noch zugreifen musste. Der Heimweg
dauerte auch nicht viel länger als 25 Minuten mit einmaligem Umsteigen am Leonrodplatz, gefühlt
waren es Stunden der Sehnsucht, bis ich endlich die kostbare Pretiose auf den heimischen
Plattenteller legen konnte. Von den ersten Takten an war ich wie elektrisiert. Das Gitarrenintro zum
ersten Titel der A-Seite „Oh, Pretty Woman“ ließ mich wahrscheinlich ansatzlos erstarren. Der
Gitarrensound und der Groove (damals sagte man wohl schlicht noch Rhythmus), stellten etwas
vollkommen Neues dar. Und ich rede noch nicht einmal vom Gitarrensolo dieses gewissen Mick
Taylor. Sagenhaft. So etwas hatte ich noch nie gehört. Selbst wenn ein Song noch nicht beendet war, darbte ich schon nach dem nächsten. Es war die reine Offenbarung.
Das alles schrie förmlich nach einer Zusammenkunft mit meinen Freunden aus der ersten Band
„The Shapes“, um ihnen diese umwerfenden, neuen Klänge zu präsentieren. Natürlich in der
Hoffnung, dass sie wie ich derartigen Gefallen daran finden und der Gründung einer Bluesband
zustimmen würden.
Aber ich wollte nicht nur mit dieser einen Platte aufwarten, sondern weitere Perlen dieses neuen
Genres erwerben, um eine breiter gefächerte Palette an Titeln anbieten zu können. Meine veritable
Sammlung an Singles, die ich nicht mehr als bedeutungsvoll erachtete, wanderte nun in den Besitz
von Peter über und brachte mir ein beträchtliches Sümmchen ein. Mein nächster Weg führte mich
abermals zu „Foto-Schwabing“, um die Erstlingswerke von „Fleetwood Mac“ und Ten Years After“
zu erstehen und als Dreingabe noch die Mayall-LP „A Hard Road“. Das war insgesamt eine
gesunde Basis, um meinen Freunden eine umfangreichere Kostprobe meiner neuen Liebe, dem
„British Blues“, zu Gehör zu bringen. Es ist kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die Hör-Session in
eine Band mündete, die auch heute noch zusammen ist.
Von den Shapes war noch Albert dabei, der zur Rhythmusgitarre wechselte, um den Platz am Bass
dem neuen Mitglied Hans frei zu machen, Werner natürlich am Schlagzeug und Erwin, jetzt als
Leadgitarrist, der sich in relativ kurzer Zeit in einen bemerkenswerten Solisten verwandelt hatte.
Und meine Wenigkeit.
Erste Konzepte wurden entworfen für die Band, die den Blues in München salonfähig machen
sollte.
Der Bandname „Chidley Group“ entstammte zur einen Hälfte einem „Dierke“-Weltatlas, in dem
sich das Kap Chidley auf der Halbinsel Labrador finden ließ, die zweite war ein angehängtes
„Group“, mal kurz bei Spencer Davis abgekupfert. „Chidley Group“, das war einprägsam und
grafisch gut umzusetzen.
Der Übungsraum im Freizeitheim an der Hanebergstraße wartete auf die frisch gebackenen
Blues-Jünger.
Und an jenem Abend, als die ersten drei Songs unseres noch spärlichen Repertoires zu unser aller
Zufriedenheit ausgefallen waren, wurde klar, dass wir in wenigen Wochen zu unserer „Crusade“,
unserem Kreuzzug für den Blues, aufbrechen würden. Genau so geschah es.
Der British-Blues war in Neuhausen angekommen.
Die Chidley Group formierte sich im Jahre 1968 und war in unserer Heimatstadt München eine der ersten Gruppen, die als „pure“ Bluesband zu bezeichnen war.
Die Wurzeln lagen nicht so sehr im authentischen Ghetto-Blues des schwarzen Amerika, sondern vielmehr in der britischen Adaption, dem sogenannten „Modern British-Blues“. Wohl umfasste das
Repertoire Stücke von Muddy Waters, Albert King oder E.Mc. Daniel /Bo Diddley) - um nur eine wenige zu nennen - gleichwohl stand die Interpretation dem rauen britischen Rhythm´n´
Blues näher als den Originalen.
Die Chidley Group fand ihre Heimat in einem heute bereits legendären Club der Münchner Szene, dem Jazz-Keller in der Türkenstraße. Von hier ausgehend,
konnte sich die Gruppe im Laufe der Zeit eine lokale Popularität erspielen, bevor die schnelllebige Musik-Szene auch bei der Chidley-Group ihre Spuren hinterließ.
1969 verließen Hans Danzer und Albert Buchmeier die Formation und wurden durch Joe Wahler (2. Leadgitarre und Querflöte) und Peter Löffler (Bass)
ersetzt. Des 3-Harmonien-Schemas müde, begab sich die Band auf das weite Feld der ehedem „progressiven“ Musik und arbeitete mit 2 Sologitarren anstatt der üblichen
Rhythmus/Solo-Kombination.
Auch diese Besetzung konnte sich nicht lange halten und im Sommer 1970 zerfiel die Chidley-Group aus vielerlei Gründen.
Die Nachfolge-Band mit Namen „Iscarioth“ besaß wiederum in Werner Mensing ihren Drummer und erhielt in Rolf Hennicker einen Organisten, mit dem die Band schon sein längerem spielen wollte. Mit „Fuzzy“ bekam die Band noch einen sehr begabten Leadgitarristen und Peter Moosbauer zupfte den Bass. Iscarioth kam nicht über das Maß einer „netten kleinen Band“ hinaus und starb 1973 nach diversen personellen Umbesetzungen einen leisen Tod.
Über die Jahre hinweg versuchten die Mitglieder der ehemaligen Chidley-Group ihr Heil in den verschiedensten Formationen, nur um letztendlich feststellen zu müssen,
dass die musikalische Erfüllung nirgendwo zu finden war.
Im Spätsommer 1977 klingelte hier und dort das Telefon und einen Monat später probte die Original Chidley-Group wieder jene Musik, die nie aus den
Herzen der Musiker zu verdrängen war: den Blues.
Später hat Rolf Hennicker die Gruppe wieder mit seinem genial-virtuosen Keyboard-Sound verstärkt und startete mit Elan in die 80er
Jahre. Schnell wurde das erste Album "Still lookin´ for a new wave?" eingespielt.
Dieses Album ist den Erinnerungen einer Zeit gewidmet, die nun Teil unser aller Vergangenheit ist und mit Sicherheit in gleicher oder ähnlicher Form
nicht wiederkehrt. (Hinterhof-Records, 26.10.80) Pressung: Record Partner, HH)
Alle Titel wurden "live" im Studio eingespielt und auf einer 4-Spur Teac-Maschine aufgenommen. Tonmeister: Hanse Schoierer
Bei einem Auftritt in den 90ern bekam die Band ganz unverhofft mit Volker Sterner einen Saxophonisten, der bis
heute den unverkennbaren Chidley-Group-Sound mit unterstützt.
"Der Blues ist unsere Leidenschaft"
Peter Müller, Gründer und Sänger der Chidley-Group.